Das rollende „R" des Masters ertönte des öfteren in vollem Volumen. Zu einem kräftigen „HORRRIDO" gab es erfreulicher Weise immer wieder Anlaß, denn Toni setzte den jagdlichen Jubelruf gerne zum krönenden Abschluß seiner Dankesworte ein. Die galten vor allem unserer tschechischen Reisebegleitung Blanca Horákova, die auf eine Art und Weise das Programm ausgearbeitet und dann vor Ort präsentiert hat, wie es hohem Anspruch an Information gerecht zu werden verstand. Und dazu noch ihr Charme und ihre Heiterkeit – kurz gesagt, eine beeindruckende Frau. Das Reiseunternehmen, das sie als Geschäftsführerin leitet, hat sich auf Touren spezialisiert, die sich gezielt an anspruchsvolle Gäste wenden. Der Akzent liegt auf Kultur, Kunst, Tradition und Sehenswürdigkeiten ihrer Heimat . Toni, den Mann, der wie kein anderer unsere bayerische Schleppjagd verkörpert, lernte sie bereits in den neunziger Jahren anlässlich eines jagdlichen Events in Böhmen kennen.
Nächst der Riemer Galopprennbahn bestieg das Gros der Mitreisenden den Bus, weitere stiegen in Regensburg und Waidhaus zu. Unter uns ein Reiterfreund aus Bremerhaven mit Gattin. Die beiden waren schon im Jahr zuvor dabei, nahmen also wiederum die weite Anfahrt nach München auf sich. Eine etwaige Frage, wie ihnen die vorjährige Reise gefallen hat, erübrigt sich da wohl.
Es ist früher Nachmittag. Der Bus biegt in das Areal der Kinsky-Pferde ein – und wer steht winkend und ein weiß-blaues Fähnchen schwenkend da? – die Blanka. Etliche sind ihr von früheren Fahrten vertraut, und die Begrüßung ist dementsprechend herzlich. Sie stellt uns zwei Herren vor, die uns viel über das Kinsky-Pferd sagen können. Es steht im Typ eines leichten Warmblutpferdes, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts in seinem Ursprungsland Böhmen im heutigen Tschechien gezüchtet wurde und dort als vorherrschende Rasse vertreten war. Die angestrebten Zuchtfarben sind Isabellen und Falben, es kommen aber auch Schimmel, Rappen, Füchse, Braune und Farben wie Cremello, Perlino und Smoky Cream vor. Alle Farben weisen einen intensiven Glanz auf. Die Pferde sind mittelgroße, harmonisch gebaute Warmblüter mit hohem Vollblutanteil. Edler Kopf mit freundlichen Augen, stabiler Körperbau, muskulöse Kruppe. Das Kinsky-Pferd ist ein temperamentvolles Sportpferd, das auf Grund seiner Eignung zum Leistungssport sehr begehrt ist. Es gilt als zuverlässig und umgänglich. Seine Entstehungsgeschichte ist eng mit der Geschichte der Familie der Grafen Kinsky verknüpft. Die erste Erwähnung des Rassenbegriffs „Kinsky-Pferd" oder auch der geschützten Bezeichnung „Equus Kinsky" geht auf das Jahr 1838 zurück. Begründer dieser Zucht war Oktavian Graf Kinsky. Überwiegend züchtete die Familie der Grafen Kinsky bereits über Jahrzehnte äußerst erfolgreich Vollblüter für Galopprennen.
Es wird erzählt, daß Graf Kinsky die Kinsky-Pferdezucht gründete, weil der Jockey Club sich weigerte, ein isabellfarbenes Fohlen einzutragen, mit der Begründung, diese Farbe habe es bei einem Vollblut noch nie gegeben. Diese Weigerung erboste den Grafen und er begründete kurzerhand sein eigenes Gestütbuch.
Die Zucht dieses Pferdes ging Ende des 20. Jahrhunderts nahezu gänzlich im tschechischen Warmblut auf. Das Kinsky-Pferd gilt heute mit unter 1000 Exemplaren weltweit als vom Aussterben bedroht und als eine der seltensten Pferderassen der Welt. Die Zucht wird auf dem Stammgestüt Ostrov betrieben, weiterhin versuchen auch einige tschechische Privatzüchter mit unendlich viel Liebe und Engagement dieses wunderbare Pferd als Rasse zu erhalten und nach den ursprünglichen Merkmalen zu züchten. Petr und Libuse Pülpán, auf deren Areal wir im Moment verweilen, gehören zu diesen begeisterten Liebhabern und Züchtern des Kinsky-Pferdes. Sie kauften 1991 Kinsky-Pferde und wurden zu Inhabern der Zuchtherde.
Viele Jahre waren sie Leiter des Gestüts in Ostrov, dann schufen sie ihre eigene Anlage. Sie wurden Mitveranstalter von Schleppjagden und sind Mitbegründer der 1. Tschechischen Parforcegesellschaft. Vor diesen Leuten kann man nur den Hut ziehen, wenn man bedenkt, daß der tschechische Staat zwar erkennt, daß die Rasse als Kulturgut erhaltenswert ist (per Verordnung versucht er dem Aussterben entgegenzuwirken), doch gibt er keinerlei Zuschüsse oder eine wie auch immer geartete Unterstützung für die Haltung, Erhaltung und Weiterzucht. Wir wünschen deshalb unseren tschechischen Freunden alles erdenklich Gute in ihrem Bemühen.
Blanka stimmt uns auf der Weiterfahrt ein: „Euch erwartet eine Nacht in einem mittelalterlichen Hotel, und davor verbringen wir den Abend in einer mittelalterlichen Kneipe. Es wird laut, das Personal ist nicht zimperlich, und das Programm ist gewollt derb, aber denkt Euch nichts, die Zoten und Anzüglichkeiten versteht ihr sowieso nicht, sind ja auf tschechisch." Aha, kann lustig werden!
Zunächst mal, Speis und Trank mundeten trefflich. Und die Akteure, wohl Mitglieder einer Schauspieltruppe, gingen mit einer Spielfreude in ihren Rollen auf, die etwas Mitreißendes hatte: Marktschreier und duellierende Ritter, Schlangenbändiger,
Henker und Delinquent und dann die „Hexenprobe" auf dem Folterbrett. Es wurde getrommelt und gejauchzt, geflucht und gestampft. Der Feuerschlucker bot Unglaubliches, ebenso die dahinwirbelnde Tänzerin, mit Fackeln Feuerräder zaubernd. Leise war´s wahrhaftig nicht. Aber wer war im Mittelalter schon leise? Allenfalls der in frommer Betrachtung den Kreuzgang durchschreitende Mönch.
Wir treffen uns nach dem Abendspektakel im mittelalterlichen Hotel. Wohlgemerkt, dem Mittelalter nachempfunden ist die ganze Innenausgestaltung, Zimmer für Zimmer. Unsere Gabi hat sich in Windeseile als Burgfrau zurecht gemacht und trägt nun in sprühender Laune und in gekonnter Gedichtform so mancherlei aus dem Nähkästchen des Schleppjagdvereins vor, von dichterischer Freiheit gewiß reichlich Gebrauch machend. Das Ganze hat den tieferen Sinn, die liebe Blanka hinter die Kulissen blicken zu lassen nach dem Motto: „Wie geht’s denn nun wirklich so zu bei uns ?" Blanka soll, weil sie uns in den zurückliegenden Jahren so viel von ihrer Heimat näherbrachte, Ehrendame des Vereins werden. Aber halt! Ohne eine Prüfung geht das natürlich nicht. Jagdgalopp, hier und jetzt und zwar auf einem feurigen Roß, das – seltsam, seltsam – eher wie ein Steckenpferdchen ausschaut. Aber Pferd ist Pferd, also los! Blanka nimmt ihren ganzen Mut zusammen und durchmißt unter unseren prüfenden Blicken mit Bravour den Raum. Bravo, Prüfung bestanden!
„Seit wann sprach man eigentlich von „Kaiserwetter?" Schon zu Maria Theresias Zeiten oder etwa schon früher? Sei´s drum, heute jedenfalls haben wir Kaiserwetter, strahlend blauer Himmel. Und unser erstes Ziel ist ein Schloß. Einer aus dem Geschlechte der Grafen Kinsky ließ oberhalb des Ortes Chlumec ein Schloß in barockem Stil erbauen, das erhaben auf einer Anhöhe steht und einen außergewöhnlichen Grundriß aufweist: drei quadratische dreigeschossige Seitenflügel sind jeweils mit einer Ecke an einen runden Mittelbau angefügt, der sie turmartig überragt. 1723 kam allerhöchster Besuch. Der Habsburger Kaiser Karl VI. nahm seine Krönung zum böhmischen König zum Anlaß, diesem Schloß und damit natürlich auch dem altböhmischen Adelsgeschlecht derer von Kinsky die Ehre seines Besuchs zu erweisen. Seit dieser Zeit trägt die Anlage den Namen Karlova Koruna (Karlskron). Die Dauerausstellung im Schloß befaßt sich mit Leben und Bedeutung der Kinskys. Viele Gemälde zeigen edle Damen und stolze Herren. Aus einem blickt uns Oktavian Graf Kinsky an. Es geht die Fama, der böhmische Edelmann sei alles andere als ein Kostverächter und Spielverderber gewesen. Dem einfachen Volk gefiel seine ungezwungene Art, seine adligen Freunde hingegen sollen seine bisweilen etwas skurrilen Späße nicht immer gar so lustig gefunden haben. Wie auch immer, rossnarrisch vom Scheitel bis zum Stiefelabsatz war er allemal, der Begründer der Chlumetzer Pferdezucht Equus Kinsky und deshalb: „Ehre seinem Namen!"
Nächstes Ziel: Slatinany.,Zunächst besuchen wir ein Hippologisches Museum, übrigens weltweit das umfassendste seiner Art. Pferdgemälde jegliches Chanres, Sättel aller Epochen, Zaumzeug und Geschirre in allen erdenklichen Ausführungen. Schloss und Gestüt war früherer Besitz der Fürsten Auersperg. Die Stallungen von Slatinany beherbergten ursprünglich Englische Vollblüter. Heute sind dort die Kladruber Rappen. Wie hoch im Kurs diese prachtvollen Rösser nach wie vor stehen, belegt die Tatsache, daß es sich die dänische Königin nicht nehmen ließ, höchst selbst vier dieser Pferde auszusuchen, die vor ihrer Kutsche angespannt werden. Drei Hengste wurden uns an der Hand vorgeführt. Was soll man sagen: Prächtige Burschen, einer wie der andere.
Weiter geht´s nach Pardubice, ca. 100 km östlich von Prag. Ein junger Mann der Rennbahn erläutert den Bahnverlauf, gibt Hintergrundinformationen und zeigt sich für alle Fragen offen. Sein gutes Deutsch kommt uns entgegen.
Jede Pferderennbahn besitzt ihre eigene, ganz unverwechselbare Atmosphäre. Absolut unvergleichlich ist jene von Pardubice, wo das wohl schwerste Hindernisrennen weltweit gelaufen wird. Allenfalls kann da noch das Grand National von Liverpool mithalten. Die Zahl der tödlich verunglückten Pferde macht betroffen, weitaus die meisten Opfer forderte der legendäre Taxisgraben. Wegen seiner Gefährlichkeit für Pferde und Reiter wird die Kritik am Rennen wohl auch niemals verstummen.
Am 5. November 1874 wurde der Parcours zum ersten Rennen freigegeben. Anwesend auch die Majestäten Franz Joseph und Gemahlin Sisi. An den Start gingen 14 Pferde, von denen 6 das Ziel erreichten.
Die Hauptrennbahn mißt derzeit im Oval 2200 Meter, die Strecke des Großen Preises von Pardubice beträgt 6900 Meter. Und die Pferde müssen im Renngalopp insgesamt 31 Hindernisse überwinden. Allesamt sind äußerst schwierig, sei es nun die irische Bank, der französische Sprung, der Schlangengraben, die großen Hecken oder der große Wassergraben, um nur einige zu nennen. Aber einer der schwersten Sprünge der Welt in einem Jagdrennen ist der Taxisgraben, auch wenn man ihn etwas „entschärft" hat. Warum das so ist? Die Pferde nähern sich diesem Hindernis Nr. 4, einer ca. 1,60 Meter hohen und 2 Meter breiten Hecke. Entgegen einem ungeschriebenen Gesetz im Jagdrennen sehen die Pferde zunächst nicht, wohin sie springen. Erst wenn sie sich schon über dem dichten Buschwerk der Hecke befinden, können sie den 3 Meter breiten, mannshohen Graben unter sich erkennen. Wenn das Tempo nicht ausreicht und sie keine etwa 10 Meter weite Sprungkurve zustande bringen, knallen sie mit voller Wucht auf die Grabenschräge. Eine weitere gefährliche Situation ergibt sich dadurch, daß der Pulk der nachfolgenden Pferde auf die gestürzten springt. Für Trainingszwecke ist Sprung Nr. 4 übrigens seit jeher gesperrt. Eigentlich unnötig. Kein Jockey der Welt würde sein Pferd zur bloßen Übung über das monströse Hindernis jagen.
Keine Frage, es ist und bleibt natürlich jedermann´s gutes Recht, sich zu besagtem Event seine eigene Meinung zu bilden. Einmal persönlich einige dieser Hindernisse aus nächster Nähe in Augenschein genommen zu haben, so wie uns dies ermöglicht wurde, kann dem Gewinn eines eigenen Meinungsbildes keinesfalls abträglich sein.
Das erfolgreichste Pferd in der Geschichte des Pardubicer Steeplechase ist Zeleznik, welches viermal Sieger wurde. Von den Reitern war bisher Josef Vána der erfolgreichste Champion, fünffacher Sieger der Steeplechase von Pardubice. Viermal gewann er auf der bereits erwähnten Zeleznik.
Der deutsche Starjockey Peter Gehm ist der bislang einzige in der Geschichte des Rennens, der viermal in Folge Sieger wurde, und zwar in den Jahren 2001 auf Chalco, 2002 auf Mascula und in den zwei folgenden Jahren auf Registana. Die Streckenbestzeit hält die Stute Sixteen, die im Jahre 2008 das Rennen in unglaublichen 08:58,99 Minuten erfolgreich beendete.
Damen nahmen bereits mehrfach an den Rennen teil. Erste und bislang einzige Siegerin wurde im Jahre 1937 Maria Immaculata Gräfin Brandis, eine tschechische Rennreiterin. Im Jahre 1916 absolvierte sie ihr erstes Rennen, das mit einem bösen Sturz endete. 1926 wurde Brandis von ihrem Cousin Zdenko Kinsky auf Burg Orlik eingeladen, wo er für Jagden und Hindernisrennen Kinsky-Pferde züchtete.1927 ritt sie zum ersten Mal das große Steeplechase von Pardubice und erreichte den 5. Platz. Ihre Teilnahme löste Proteste aus, das Rennen sei zu schwer für eine Frau, außerdem sei es mit der Ehre teilnehmender Offiziere nicht vereinbar, sich mit einer Frau zu messen. Vermutlich war es den Herren Offizieren schlichtweg peinlich, von einer Frau geschlagen zu werden. 1933 nahm Brandis erstmals mit der damals sechsjährigen Stute Norma in Pardubice teil und erreichte den dritten Platz. Im Jahr darauf wurde das Paar zweite, 1935 wiederum mit Norma fünfte, 1937 im 56. Großen Steeplechase von Pardubice dann ihr größter Triumph. Der feuchte und rutschige Boden erwies sich als Vorteil für die leichte Stute Norma, die umsichtig taktierende Lata Brandis gewann in den Kinsky-Farben weiß-rot mit sieben Längen Vorsprung.
1949 trat sie ein letztes Mal beim Steeplechase von Pardubice an. Am Schlangengraben kam sie schwer zu Sturz, erlitt einen Schädelbruch, eine komplizierte Fraktur des linken Beins, mehre Rippenbrüche, einen Schlüsselbeinbruch und Verletzungen an der Wirbelsäule. Sie lag eine Woche im Koma. Der Unfall bedeutete das Ende ihrer großen reiterlichen Karriere. Lata starb 1981 im Alter von 85 Jahren. In den Annalen der Rennbahn behält sie für immer ihren Ehrenplatz.
Das Rennen startet jedes Jahr am zweiten Oktobersonntag. Am Start stehen jeweils 15 bis 20 Pferde, pilotiert von hochqualifizierten Jockeys. Zum Hauptrennen werden mittlerweile nur siebenjährige oder ältere Pferde zugelassen und Jockeys, die im aktuellen Jahr mindestens eines der vier Qualifikationsrennen erfolgreich abgeschlossen haben.
Für uns war es ein langer Tag. In der Nacht kommen wir in Prag an. Alle freuen sich auf ihr Bett und das in einem noblen Hotel. Bis morgen also.
Am anderen Morgen ist Heiner bei uns. Er war spät abends mit dem Zug aus Roding in Prag angekommen. Warum erst jetzt? Warum so spät? Er hatte sich im heimischen Stall verletzt, als er seinem kranken Pferd aufhelfen wollte. Das verletzte Bein hatte er sich mit einer orthopädischen Stütze stabilisierten lassen, und dann ist er uns nachgereist. Er wollte einfach dabei sein, so wie er schon bei über hundert Jagden dabei war.
Prag, eine faszinierende Stadt. Niemand kann sich ihrem Charme und ihrer Pracht entziehen. Mit der Wende ist Prag gewissermaßen nach Europa zurückgekehrt. In atemberaubender Geschwindigkeit hat es sich herausgeputzt, den kommunistischen Provinzialismus hinweggefegt. Ihr unvergleichliches Flair leidet auch nicht unter den Touristenströmen, die sich über die historischen Zentren ausbreiten
Das historische Zentrum, der Hradschin mit dem Veitsdom, die Kleinseite, die Alt- und die Neustadt gehören zum UNESCO-Welterbe. Blanka hat uns eine Route zusammengestellt , die uns zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Zentrum führt und in einem Tag bei zumutbarer Anstrengung zu bewältigen ist. Ihr besonderes Geschick liegt darin, neben den einstigen Palästen des Adels rund um den vormaligen Herrschersitz, dem Hradschin, auch kleine, fast verträumt wirkende Gässchen in das Besichtigungsprogramm mit einzubeziehen. Schön auch, daß sie ihre von sehr viel Sachkunde getragenen Informationen wohldosiert einsetzt und uns nicht mit zu viel Wissen überfrachtet. Wir stehen am St. Veits-Dom. Durch das Bronzeportal an der neugotischen Westfassade gelangen wir mit dem Besucherstrom ins Innere der Kathedrale, die allein schon durch ihre gewaltigen Ausmaße beeindruckt. 600 Jahre lang arbeiteten die größten Baumeister ihrer Zeit an der Krönungskirche der böhmischen Könige. Alle Epochen, von der Gotik, über Renaissance und Barock bis hin zum Jugendstil hinterließen ihre Spuren an diesem einzigartigen Gesamtkunstwerk.
Wo ist das Fenster, an dem sich der legendäre Fenstersturz zutrug? Das ist wohl eine der wichtigsten Fragen, die sich in der Prager Burg stellt. Blanka weiß das und führt uns zielstrebig dorthin. Eine verhaltene Komik liegt in dem damaligen Vorgang, der Weltgeschichte schreiben sollte und einen Krieg auslöste, der sengend und brennend auch weite Landstriche unserer Heimat heimsuchte: der Dreißigjährige Krieg. Die handelnden Personen bei diesem Fenstersturz waren von Rang und Adel. Protestantische Adelige geraten in hitzigen Disput mit den beiden Statthaltern des erzkatholischen Kaisers Ferdinand II. Die aufgeladene Situation eskaliert in einem Handgemenge, die beiden Statthalter samt einem Sekretär werden zum Fenster gedrängt und hinabgestürzt Die drei haben Glück, großes Glück. Ein Misthaufen federt den Sturz ab, und sie können sich mit leichten Blessuren davonmachen. Man schreibt den 23. Mai 1618. Doch die Lunte zum Dreißigjährigen Krieg, der schließlich ganz Europa in Brand setzen sollte, war mit diesem Affront gegen den Habsburger Kaiser im fernen Wien gezündet.
Bietet sich da was an? Aber ja, das kommt ja wie gerufen. Ein am Hang unterhalb des Hradschin liegendes Terrassen-Café mit einem einmalig schönen Blick über Prag. Zu einer kleinen Stärkung sagt jetzt wahrhaftig keiner nein, und die schweren Beine danken es auch. Die wärmende Frühlingssonne tut ein übriges.
Es wäre kein Problem, tage- vielleicht sogar wochenlang durch Prag zu schlendern und immer noch viele Sehenswürdigkeiten zu entdecken. Dazu fehlt uns natürlich die Zeit, und deshalb biegen wir jetzt in die Schlußgerade ein.
Die berühmte Karlsbrücke gehört ebenso dazu wie der prächtige Häuserkomplex des Altstädter Rathauses, den romanische und gotische Fassaden bilden. Die astronomische Turmuhr ist, wie so vieles mehr, ein phantastisches Meisterwerk, und den heutigen Schlußpunkt setzen wir im Rathaus mit der Besichtigung der Repräsentationsräumlichkeiten. Wo sind wir gestartet? Genau, am bekannten Wenzelsplatz. Und dort stehen wir auch jetzt wieder. Er ist der berühmte Boulevard der goldenen Stadt, Mittelpunkt und Lebensader. Bunt und vital, einzigartig. Die Szenen, die sich hier während des sog. Prager Frühlings abspielten, rührten damals das Gewissen der Weltöffentlichkeit und bleiben unvergessen
Den Abend lassen wir in einem eleganten Restaurant auf das Angenehmste ausklingen.
Tag der Abreise. Aber eine kleine, eher beschauliche Tour gönnen wir uns am Vormittag noch. Hinter einem idyllischen Gärtlein grüßt uns St. Maria Schnee, ein gewaltiges sakrales Bauwerk. Das Kirchenschiff misst 34 Meter an Höhe, der höchste gotische Kirchenbau Prags.
Über die Straße am Graben kommen wir zum Gemeidehaus, im Jugendstil erbaut zwischen 1906 - 1912. Wir betreten den Smetana-Saal. Hier wird das Internationale Musikfestival Prager Frühling mit dem symphonischen Zyklus „Mein Vaterland" von Bedrich Smetana am 12. Mai (seinem Todestag) eröffnet. Anschließend werden wir noch durch die ganz unterschiedlich ausgestalteten, aber allesamt sehr beeindruckenden Repräsentationsräume geführt.
So, liebe Blanka, jetzt heißt es Abschied nehmen. Du warst großartig! Danke, leb‘ wohl und hoffentlich auf ein Wiedersehen. Oder wie ihr Tschechen sagt: „Ahoj"!